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Synthese

Durch die Erweiterung der bestehenden Phasen einer Baugemeinschaft und eine Analyse der Nutzer:innengruppen ergeben sich Potenziale für erste Lösungsräume. Kombiniert mit Erkenntnissen der Recherche konnten wir vor allem in genossenschaftlichen Strukturen Antworten auf die Vielzahl von Herausforderungen im Bereich gemeinschaftlicher Bau- und Wohnformen finden.

Erweiterte Phasen von Baugemeinschaften

Im Prozess des gemeinschaftlichen Bauens werden stets vier Phasen einer Baugemeinschaft beschrieben. Diese Phasen bilden den Status quo des Verständnisses gemeinschaftlicher Projekte ab (1) und bewegen sich im Feld eines konkreten Vorhabens. Mit fortschreitendem Prozess gewinnt das Projekt an Gegenständlichkeit dazu.

Was oft außer Acht gelassen wird, sind die Phasen, die vor und nach dem konkreten Planungs- und Bauvorhaben stattfinden. Die Pflege und Verwaltung abgeschlossener Projekte wird zukünftig einen Spielraum für neue Serviceangebote eröffnen. Aus diesem Grund werden im folgenden Modell die Phasen des Status quo um zwei weitere Phasen ergänzt:

Die Phasen im Detail

In der Orientierungsphase kommt es auf Aufmerksamkeit, Information und Orientierung an. Im ersten Schritt geht es darum, die Aufmerksamkeit der Zielgruppe(n) zu gewinnen. Betrachtet man die kommunikativen Maßnahmen von Bestands- sowie Kleingenossenschaften im Hinblick auf den visuellen Auftritt, so besteht aus gestalterischer Sicht großes Potenzial für Erneuerung. Dies kann der erste Schritt sein, um neue Zielgruppen für das eigene Vorhaben zu gewinnen.

Information ist die erste Stufe der Partizipation (2). Aktuell ist die Informationsbeschaffung für Interessierte mit Aufwand und einer breit gestreuten Recherche verbunden. Da der Prozess eines gemeinschaftlichen Bau- und Wohnprojektes von verschiedenen Fachbereichen abhängig ist, die sich teilweise gegenseitig bedingen, muss hier für eine verbesserte Transparenz in Form einer verständlichen Aufarbeitung gesorgt werden.

Durch eine verständliche Aufarbeitung und Bereitstellen aller wichtigen Informationen für Interessierte kann ein gelungener Übergang zur Orientierung geschaffen werden.

Sobald die wesentlichen Informationen aufgenommen und verstanden wurden, können diese in verschiedene Kontexte gesetzt werden. Hier wird von der Orientierung gesprochen. Da sich gemeinschaftliche Bau- und Wohnprojekte stets unterscheiden und es keine Musterlösung für Projekte gibt, muss gewährleistet werden, dass Interessierte einen guten Überblick über verschiedene Möglichkeiten bekommen. Hierbei spielen verschiedene Faktoren wie die Größe einer Baugemeinschaft, Finanzierungsaspekte, allgemeine Organisationsformen oder auch die missionarische und visionäre Ausrichtung eines Projektes eine Rolle.

Die Findungs- bzw. Initiierungsphase beginnt ab dem Zeitpunkt, an dem aus einem groben Interesse ein konkretes Interesse entsteht.

Jedes Bauprojekt benötigt einen initialen Impuls, der oftmals bei einer vagen Idee eines Einzelnen oder einer Gruppe an Menschen beginnt. Sobald der anfängliche Gedanke konkreter ausformuliert wurde, wird versucht, weitere Personen für die Projektidee zu gewinnen und diese vom eigenen Vorhaben zu überzeugen. Es lassen sich also zwei Gruppen von Personen unterscheiden: Initiator:innen eines Projekts und Mitmacher:innen:Initiator:innen zeichnen sich durch einen hohen Tatendrang und Selbstbewusstsein, selbst ein Projekt zu anzustoßen, aus Mitmacher:innen sind zwar interessiert daran, Teil eines Projektes zu sein, schließen sich aber eher einem bestehenden Prozess an, anstatt selbst ein Projekt zu initiieren.

In dieser Phase wird das vorher gebildete Interesse in erste Aktionsschritte umgewandelt. Das Initiieren eines Projekts oder die Suche nach einem passenden Projekt, dem man sich anschließen kann, prägt diese Phase.

Hierbei können drei zu lösende Aufgaben unterschieden werden: Kreieren, Vernetzen und Akquirieren. Das Kreieren schließt nahtlos an die vorherige Phase der Orientierung an. Dabei kann Interessierten die Möglichkeit gegeben werden, mit dem vorher gesammelten Wissen selbst kreativ zu werden. Ziel ist es, durch die eigene Tätigkeit die Phase der Orientierung weiter zu festigen und die eigenen Lebensumstände, Wünsche oder Vorstellungen auf ein fiktives Projekt zu übertragen. Dies kann beispielsweise durch eine explorative Herangehensweise erreicht werden.

Der nächste Schritt des Vernetzens und Akquirierens ist notwendig, um weitere Personen an ein Projekt zu binden. Eine Schnittstelle zu finden, an der weitere Mitstreiter:innen oder bestehende Projekte gefunden werden können, erweist sich für Interessierte aktuell als Herausforderung. Ein Grund hierfür ist, dass es noch keine übergeordneten Plattformen gibt.

Diese Phase ist geprägt vom persönlichen Kennenlernen der Beteiligten. In diesen Prozessen entstehen diverse Herausforderungen wie das Definieren einer gemeinsamen Mission, die Betreuer:innensuche, die Suche nach einem passenden Grundstück oder die Orientierung verschiedener Konzepte und Fördermöglichkeiten. Diese Felder bieten Potenzial für neue Lösungsansätze.

Auch die Begleitung bzw. Betreuung spielt eine wichtige Rolle. Da die Gruppe zumeist aus Lai:innen besteht, kann der komplexe Prozess in vielen Fällen mit einer erfahrenen Betreuung im Bereich gemeinschaftlicher Bauprojekte gemeistert werden. Der regionale Zugang zu Betreuenden mit dieser speziellen Ausrichtung stellt sich für die Gruppe als Herausforderung dar.

Am Ende dieser Phase hat sich der Status des Projekts nochmals konkretisiert. Zum Fortführen des Projekts muss ein rechtlicher Rahmen gefunden werden, der alle Mitglieder gegeneinander absichert. Dieser Prozess ist mit großer Mühe verbunden, da es sich erst einen Überblick über die verschiedenen Möglichkeiten zu machen gilt. Diese werden von der Gruppe anschließend basierend auf der Umsetzbarkeit bewertet. Meistens ist für die Gruppe hierbei die Gründung einer Genossenschaft nicht abbildbar, da der Gründungsprozess im Vergleich zu anderen Organisationsformen wie der GbR zeitintensiver ist. So fällt mehrheitlich die Entscheidung gegen die Gründung einer Genossenschaft, obwohl diese sowohl für die allgemeine städtische Entwicklung wie auch für die einzelnen Mitglieder die meisten Vorteile beinhalten würde. Hier können Angebote helfen, welche der Gruppe einen einfacheren Zugang zu genossenschaftlichen Vorteilen bieten.

Die Phase der Planungsgemeinschaft ist die umfangreichste Phase des Prozesses. Hier werden alle planerischen Belange bearbeitet: Von den ersten Plänen des Bauvorhabens über den Bewerbungsprozess für ein städtisches Grundstück bis hin zur konkreten Finanzierungsplanung des Vorhabens. Waren die Aufgaben der Gruppe bis dahin hauptsächlich gruppen interner Natur, so entstehen in dieser Phase eine Vielzahl von Schnittstellen mit externen bau- und planungsrelevanten Fachbereichen. Wenn nicht schon in der vorherigen Phase geschehen, so ist die Gruppe spätestens ab diesem Zeitpunkt auf eine Expert:innenbegleitung aus den Bereichen Architektur, Finanzierung und Projektsteuerung angewiesen.

Je nach Ausrichtung der Baugemeinschaft gilt es neben den planerischen Aspekten des Prozesses weitere Mitglieder für das Vorhaben zu gewinnen, um durch das Belegen eines Großteils der Wohneinheiten die Finanzierung sicherzustellen.

Um die Vielzahl an Aufgabenbereichen abzudecken, organisiert sich die Gemeinschaft in Arbeitsgruppen, um den komplexen Prozess in Teilaufgaben zu bewältigen. Die hier entstehenden Herausforderungen — wie die Organisation, das Zusammentragen, das Bearbeiten planerischer Aspekte oder das Stakeholdermanagement (Stadt, Betreuende, usw.) — gilt es zukünftig besser zu unterstützen. Bei Angeboten, die neu geschaffen werden, bietet es sich an, die Potenziale digitaler Möglichkeiten zur Unterstützung dieser Prozesse zu nutzen. Da in analogen Gruppenprozessen jedoch ein großer Mehrwert von Baugemeinschaften liegt, muss stark darauf geachtet werden, neue Angebote an den richtigen Stellen zu platzieren.

Die Phase der Baugemeinschaft ist die Durchführung des Baus. Hier werden die in der Planungsphase erstellten Materialien genutzt, um das/die Gebäude zu bauen.

Die hier entstehenden individuellen Prozesse müssen vom betreuenden Architekt:innen begleitet und überwacht werden. Alle Pläne, Protokolle, Kosten und Verträge müssen für alle Bauherr:innen gleichermaßen zugänglich sein.

Die entstehenden Herausforderungen für die Gruppe und betreuenden Architekt:innen weisen im Vergleich zur vorherigen Phase ähnliche Anforderungen auf: Prozesse müssen einheitlich abgebildet und zugänglich gemacht werden, Prozesstransparenz für alle beteiligten Personen steht an oberster Stelle.

Abhängig von der zuvor gewählten Rechtsform, kann im Übergang zwischen der Fertigstellung des Baus und dem Einzug ein Wechsel dieser Rechtsform stattfinden. Ist das Projekt bis dahin als GbR organisiert, so wird aus der Bauherr:innengemeinschaft eine Eigentümer:innengemeinschaft, in der jede Partei Eigentümer:in des eigenen Wohnraums wird.

Dies ist im Vergleich zu genossenschaftlich organisierten Projekten, bei denen das Gebäude in kollektives Eigentum überführt wird, für viele der interessantere Weg. Gründe hierfür reichen von der Kapitalanlage als Vermögensvermehrung, über mietfreies Wohnen bis hin zu der Selbstbestimmtheit im eigenen Wohnraum.

Bei genauerer Betrachtung, bringt Eigentum jedoch auch negative Seiten mit sich. Die vermeintlichen Vorteile sind im Vergleich zu Kollektiveigentum von Genossenschaften sowohl für eine einzelne Partei, als auch gesamtgesellschaftlich oftmals eher nachteilig (3). Eine Herausforderung in diesem Feld besteht darin, die genossenschaftlichen Werte außenwirksam in einen Vergleich mit Eigentumsgedanken zu bringen. So kann über die Vorteile von Genossenschaften und kollektivem Eigentum aufgeklärt werden.

Die abschließende Phase des aktuellen Verständnisses (Interessens-, Planungs-, Baugemeinschaft und Einzug) eines gemeinschaftlichen Bauprojekts stellt der Einzug der Gruppe dar. Hierbei bezieht jede Partei die vorher festgelegte Wohnung. Dies kann entweder gemeinschaftlich organisiert sein oder individuell stattfinden.

Trotz Planungs- und Bauzeiten zwischen fünf und zehn Jahren ist die Phase der Verwaltung die mit Abstand längste des ganzen Prozesses. Solange das Gebäude besteht, dauert sie an und stellt auch bei einem möglichen Eigentümer:innen- oder Mieter:innenwechsel eine ständige Aufgabe für die Gemeinschaft dar. Ob individuelles oder kollektives Eigentum spielt bei der Bewältigung der Verwaltungsaufgaben kaum eine Rolle, da es bei beiden Eigentumsformen meist gemeinschaftlich genutzte Flächen oder Räume in oder um das Gebäude herum gibt.

Zur Verwaltung des Objekts gibt es zwei Möglichkeiten: der Aufgabenbereich wird entweder in die Hände eines externen Dienstleisters gegeben oder die Hausgemeinschaft kümmert sich selbst um die Verwaltung. Die hier entstehenden Herausforderungen bergen Potenzial, die Gemeinschaft durch neue Strukturen und Werkzeuge zu befähigen, Verwaltungsaufgaben selbstständig nachzugehen.

Nutzer:innen von Baugemeinschaften

Aktuell kann zwischen drei Nutzer:innengruppen gemeinschaftlicher Bau- und Wohnprojekte unterschieden werden. Jede einzelne dieser Gruppen hat dabei ihre eigenen Charakteristiken, Voraussetzungen und Ziele. Um Veränderung und Weiterentwicklung in der Kommunikation  gemeinschaftlichen Bauens zu erreichen, muss eine genaue Auseinandersetzung mit den Zielgruppen stattfinden.

Lokal Engagierte

Lokal engagierte bringen oft Vorwissen im Bereich von Bauprojekten mit und haben dadurch das Selbstbewusstsein, ein gemeinschaftliches Wohnprojekt anzutreiben. Dieses Wissen nutzen sie, um eine starke Gemeinschaft zu schaffen. Sie wollen durch ihr Engagement ein Wohnquartier mit großer Wirkung für die städtische Gemeinschaft etablieren. Das Vorhaben wird als Statement und Gegenentwurf zu herkömmlichen Wohnformen wahrgenommen. Eine weitere wesentliche Charaktereigenschaft ist das hohe Maß an Engagement und Durchhaltevermögen.

Neo-Ökolog:innen

Diese Gruppe steht für soziale und ökologische Initiativen in ihrem direkten Umfeld, verkörpert einen Community-Ansatz und lebt einen zukunftsweisenden Öko-Pragmatismus.
Diese Gruppe hat ein persönliches sowie gesellschaftliches Interesse an gemeinschaftlichen Bau- und Wohnprojekten. Ihnen geht es sowohl um Selbstbestimmtheit in der Gestaltung ihres Wohn- und Lebensraums als auch um gemeinschaftliche Aspekte. Gemeinwohlorientiert zu handeln und sich gleichzeitig selbst zu verwirklichen, ist für sie kein Widerspruch.

Silver Surfer

Die Vertreter:innen der Silver Surfer sind die älteste der drei Gruppen, oft alleinstehend und auf der Suche nach einer Gemeinschaft. Neben dem individuellen Interesse, eine Gemeinschaft zu finden, besteht das Bedürfnis, sich als nutzbringenden Teil zu engagieren. Ob durch Nachbarschaftsdienste oder Gartenpflege – diese Gruppe möchte das große Maß an Freizeit nutzen, um anderen zu helfen. Oftmals besteht der Zugriff auf finanzielle Mittel, die im Laufe ihres Lebens angehäuft wurden. Dies sind entweder Ersparnisse oder bestehendes Wohneigentum, welches nach dem Auszug der Kinder zu groß für sie geworden ist. Da Banken aufgrund des Alters kaum Kredite vergeben, ist Eigenkapital eine wesentliche Voraussetzung.

Potenziale neuer Gruppen

Durch die Befragungen mit den Nutzer:innen konnten wir ermitteln, dass es den Akteur:innen innerhalb gemeinschaftlicher Bau- und Wohnprojekte schwer fällt, eine junge Zielgruppe und Familien zu erreichen. Die Integration neuer Gruppen in bestehende Projekte kann für eine positive Weiterentwicklung einzelner Projekte sorgen. Auch für die Gruppen selbst bringen gemeinschaftliche Wohnformen neue Möglichkeiten wie günstigen Wohnraum mit stabilen Mieten mit sich.

Um die Potenziale neuer Gruppen für zukünftige Projekte nutzen zu können, bedarf es Angeboten, die gezielt auf die aktuellen Herausforderungen eingehen:

Für eine jüngere Zielgruppe sind die Planungs- und Bauzeiten meistens zu lang, um das akute Wohnungsbedürfnis zu erfüllen. Bedingt durch eine nicht abgeschlossene Lebensplanung im Hinblick auf Job, Familie usw. sind aktuelle Angebote nicht attraktiv genug. Um die Attraktivität gemeinschaftlicher Wohnprojekte für diese Zielgruppe zu erhöhen, müssen zukünftige Angebote eine deutlich höhere Flexibilität des Ein- und Ausstiegs bieten.

Wie bei allen Neubauprojekten bedarf es auch bei den meisten gemeinschaftlichen Wohnprojekten einer hohen Eigenkapitalbasis, die von jungen Menschen und Familien in Ballungsgebieten kaum aufgebracht werden kann. Dies liegt zu einem großen Teil an den hohen Bodenpreisen, aber auch an einer geringen finanziellen Kaufkraft kleinorganisierter Projekte. In zukünftigen Modellen muss darauf geachtet werden, dass der finanzielle Zugang für eine jüngere Zielgruppe gewährleistet wird. Dies kann beispielsweise durch Mischmodelle verschiedener Einkommensklassen, übergeordneter Organisationen mit finanziellen Einlagen oder neuer Kreditangebote erreicht werden.

Aktuell erhoffen sich jüngere Zielgruppen vom Erwerb von Eigentum irrtümlicherweise ein erhöhtes Maß an Sicherheit. Individuelle Freiheit in der Wohnraumgestaltung, finanzielle Sicherheit oder eine garantierte stabile Miete sind nur einige der möglichen Argumente, die bei dieser Gruppe für Eigentum spricht. Kombinationen aus gemeinschaftlichen Wohnformen und einer genossenschaftlichen Organisation haben das Potenzial, einen eigentumsähnlichen Mehrwert zu bieten und mit den Vorteilen eines Mietverhältnisses zu kombinieren. Hierzu muss jedoch ein Umdenken der Dienstleister:innen gemeinschaftlicher und genossenschaftlicher Wohnformen stattfinden. Aufklärung in diesen Bereichen ist der Schlüssel, um langfristig eine junge Zielgruppe zu gewinnen und von den positiven Seiten dieser Wohnform zu überzeugen.

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Mehr Hintergründe zu unserer Recherche, Expert:inneninterviews, Methodik und dem Konzept der Modellgenossenschaft finden Sie in der vollständigen Masterthesis, die kostenlos als PDF-Download zur Verfügung steht.

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